Die Zachäus-Kampagne für soziale und ökologische Steuergerechtigkeit ist eine gemeinsame Initiative des Ökumenischen Rates der Kirchen, des Lutherischen Weltbundes, der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen, des Weltrates Methodistischer Kirchen und des Weltmissionsrates. Der Öffentlichkeit vorgestellt wurde die globale Kampagne beim Hochrangigen Politischen Forum für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen im Juli 2019 in New York; seither sind alle Mitgliedskirchen der ökumenischen Weltbünde eingeladen, die Kampagne in ihren Kontexten bekannt zu machen und sich in dieselbe einzubringen.
Unter Bezugnahme auf die biblische Geschichte von Zachäus setzt sich die Kampagne auf lokaler, nationaler und globaler Ebene für Steuergerechtigkeit ein und befasst sich hierbei vor allem mit sozialer Ungleichheit und ökologischen wie auch historischen Schulden – einschließlich Reparationszahlungen für Kolonialismus und Sklaverei. Sie will vor allem der Bewusstseinsschärfung innerhalb der Kirchen und ihrer Gemeinden im Blick auf die mit Steuer(un)gerechtigkeit und Wiedergutmachung verbundenen Zusammenhänge wie zugleich auch einer diesbezüglichen politischen Anwaltschaftsarbeit bis hinauf auf höchste politische Ebenen dienen.
Namensgeber der Kampagne ist der Zöllner und Steuereintreiber Zachäus, der als Teil des kolonialen Militär- und Finanzsystems zu Lebzeiten Jesu für Christ*innen eine durchaus geläufige Figur ist. Wer die Zachäus-Geschichte aus dem Lukasevangelium kennt, wird erahnen, dass es der Kampagne um radikale Veränderungen geht. Denn als Jesus sich zu ihm nach Hause einlud, bewirkte diese Begegnung bei Zachäus eine fundamentale Umkehr, Reue und Wiedergutmachung eingeschlossen: Er versprach nach der Begegnung mit Jesus, die Hälfte seines Besitzes an die Armen zu geben und das Vierfache sogar denjenigen, die er betrogen hatte.
Diese Verwandlung des Zachäus steht sinnbildlich für die notwendigen Veränderungen unserer gegenwärtigen weltwirtschaftlichen Zusammenhänge, damit auch die Benachteiligten an den Früchten unseres Reichtums teilhaben. Im Konzeptpapier der Kampagne heißt es: „Das globale Wirtschafts- und Finanzsystem ist sündhaft und unterdrückerisch; mit ihm gehen die Armut der Vielen und hohe Profite für einige Wenige einher. Diese Ungleichheit beruht auf der systematischen Ausbeutung eines großen Teils der Menschheit und der natürlichen Umwelt.“
Aus diesem Grund machen die ökumenischen Träger der Kampagne in den Themenbereichen Steuergerechtigkeit und Wiedergutmachung eine zentrale Herausforderung an unsere weltweite Ordnung aus und verstehen sie als unverzichtbare Bausteine für die Schaffung einer zukünftigen. Vor allem Steuern und die faire und nachhaltige Besteuerung von Rohstoffen, Gütern und Dienstleistungen sowie allen Arten von Einkommen und Vermögen werden als ein zentrales Instrument erachtet, um Reichtum innerhalb und zwischen Ländern gerecht zu (ver-)teilen sowie Unternehmen und Bürger*innen im Hinblick auf ihre Verantwortung für die Wahrung des Gemeinwohls, einschließlich der globalen Gemeingüter, über Steuern gemäß dem Prinzip der Leistungsfähigkeit zur Verantwortung zu ziehen.
Die Kampagne richtet ihr Augenmerk hierzu vor allem auf drei im Kontext von Steuer(un)gerechtigkeit politisch besonders relevante Dimensionen:
• die soziale Dimension: zunehmende Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen, Reichtum und (private wie öffentliche) Armut bei uns;
• die ökologische Dimension: globale Erwärmung, nicht nachhaltiger Umgang mit Ressourcen/Extraktivismus, „Kohlenstoffschuld(en)“ des globalen Nordens gegenüber dem globalen Süden;
• die entwicklungspolitische bzw. Eine-Welt-bezogene Dimension: Wohlstandsgefälle zwischen Nord und Süd, strukturelle Zusammenhänge zwischen Überfluss und Mangel, soziale wie ökologische Vulnerabilitäten im globalen Süden.
Auf diesem Hintergrund möchte die Kampagne das Bewusstsein dafür schärfen, dass Steuersystem und Steuerpolitik – gerade auch im Rahmen der bestehenden Ordnung – ein außerordentlich zweckmäßiges und zumal marktkonformes Hilfsmittel darstellen und ein entschiedenes Umsteuern mihilfe der vielfältigen Lenkungs- und Aufkommenswirkungen von Steuern einen substanziellen, unverzichtbaren Beitrag zu einer nachhaltigeren und gerechteren Weltwirtschaft leisten kann:
• einerseits mittels einer zielgerichteten Ausgestaltung der Steuerpolitik (vor allem durch die Einführung oder Abschaffung, Erhöhung oder Senkung von Steuern) sowie
• andererseits durch die konsequente Erhebung von Steuern zur Verbreiterung der fiskalischen Handlungsspielräume (insbes. durch die Schaffung der rechtlichen wie institutionellen Voraussetzungen zur Durchsetzung des staatlichen Steueranspruchs sowie zur Unterbindung von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung auf nationaler wie transnationaler/globaler Ebene).
Dringliche Gründe für ein solches Umsteuern gibt es zahlreich und schon seit geraumer Zeit. In jüngster Zeit spitzen sich die Missstände bei der sozialen Polarisierung innerhalb wie zwischen Nationen und dem Raubbau an der Natur immer weiter zu und nehmen ebenso empörende wie verstörende Ausmaße an:
• die zehn reichsten Menschen der Welt haben ihr Vermögen zwischen März 2020 und November 2021 etwa verdoppeln können; damit haben sie seit Beginn der Corona-Pandemie mehr verdient, als die Impfungen aller Menschen auf der Welt zusammen kosten würden; die weltweit knapp 2.500 Milliardär*innen besitzen inzwischen so viel wie 60 Prozent der Weltbevölkerung;
• weltweit hat schon vor der Pandemie mit etwa 3,2 Milliarden Personen die Hälfte der Menschheit in Armut gelebt. Inzwischen sind es mehr als 160 Millionen Menschen zusätzlich; den stärksten Rückgang bei den Einkommen hatten die ärmsten 20 Prozent; mehr als 100 Länder haben in der Krise die Sozialausgaben gekürzt, und in mindestens 73 Ländern drohen mit der Rückzahlung von Covid-19-Krediten des Internationalen Währungsfonds weitere Sparmaßnahmen;
• auch in Deutschland nimmt die ohnehin schon sehr starke Konzentration der Vermögen ebenfalls weiter zu; während der Pandemie konnten die zehn reichsten Personen ihr Vermögen um rund 78 % von rund 125 Mrd. auf etwa 223 Mrd. € steigern; allein dieser Zugewinn entspricht annähernd dem Gesamtvermögen der ärmsten 40 Prozent, also von 33 Millionen Deutschen; die Armutsquote in Deutschland erreicht derweil mit etwa 16 Prozent und mehr als 13 Millionen Menschen einen Höchststand;
• die Pro-Kopf-Emissionen der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung liegen weit(er) unter der 1,5 Grad-Grenze; Urheber der größten Schäden sind die Superreichen, deren Lebensstil trotz Erderwärmung immer klimaschädlicher wird; die Pro-Kopf-Emissionen der zum reichsten ein Prozent der Weltbevölkerung gehörenden Menschen werden 2030 um ein 30-Faches über dem Wert liegen, der mit dem 1,5-Grad-Ziel verträglich ist; damit schädigten die Superreichen das Klima mehr als die ärmsten 50 Prozent der Weltbevölkerung zusammen.
[Alle obigen Angaben entstammen jüngsten Veröffentlichungen von Oxfam: dem „Ungleichheitsbericht“ (Januar 2022) und der „Carbon Inequality“-Studie (November 2021).]
In Deutschland unterstützt ein breites Bündnis von derzeit 25 evangelischen und katholischen Diensten und Werken sowie ökumenischen und zivilgesellschaftlichen Organisationen und Netzwerken auf Grundlage des „Zachäus-Appells“ die Kampagne. Seit der viel beachteten Auftaktveranstaltung der deutschen Kampagne am 4. Oktober 2021 sind die Kampagnenträger darum bemüht, angesichts einer Gerechtigkeitslücke im deutschen Steuersystem von mindestens 75 bis 100 Milliarden € im Allgemeinen sowie bezüglich ihrer politischen Forderungen im Besonderen mit der neuen Bundesregierung aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP ins Gespräch zu kommen. Darber hinaus werden auch die für eine umfassende Steuergerechtigkeit unerlässliche europäische und internationale Dimension mit in den Blick genommen und somit auch die Europäische Union wie die internationale Staatengemeinschaft mit Forderungen adressiert.
Die Kampagnenträger teilen dabei die Überzeugung, dass Kirchen eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung nationaler und internationaler Steuersysteme spielen können und sollten, die einerseits Beschäftigung, Geschlechtergerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Umverteilung von Einkommen und Vermögen befördern und spekulatives, schadstoffreiches sowie ressourcenintensives Wirtschaften andererseits maßregeln bzw. ahnden. Sie drängen deshalb auf kreative und prophetische Lesarten der Zachäusgeschichte in Lukas 19,1-10 und laden auch die Kirchen ein, die gute Nachricht von Zachäus anzunehmen, sie nach außen zu vertreten und in ihren jeweiligen Kontexten Zeugnis abzulegen von gerechter Besteuerung und Wiedergutmachung.